Erzählungen, Gedichte, Stücke.
Mit Grafiken von Marion Hallbauer
Die sechste eigenständige Buchproduktion (...und flechte mir Tränen ins
Haar(Lyrik), Der Sammler (Kinderbuch), Mein Elefant Lupos und ich
(Kinderbuch), Tränen und Angsthasen (Anthologien als Herausgeberin) der
Zwickauer Autorin Cornelia Eichner wird erneut im Ahlhorner Geest-Verlag
vorgelegt.
Schonungslos in Brecht'scher Manier gestellte Frage an Individualität und
Gesellschaftlichkeit. Kaum ein junger Autor in Ost und West beherrscht die
Kunst lyrisch-analytischer Kritik gesellschaftlichen und individuellen Seins
in dieser Eindring-lichkeit und Klarheit wie Cornelia Eichner und vermittelt
zugleich ein positiv bejahendes Lebensgefühl.
In Nachthaut' beweist die Autorin, dass die Schärfe und Treffsicherheit der
Analyse - eingebettet in einen unbezwingbaren Lebensoptimismus - in der
Prosa ihrer lyrischen Qualität um nichts nachsteht. So gelingt ein
politischer Band - ohne je eine - im engen Sinne - direkte politische
Handlung zu analysieren -, doch zugleich ein poetischer Band, voller
Zartheit, liebe-vollerer Verspieltheit. Nein, keine oberflächliche
Schönmalerei, vielmehr prägt sich eine - permanent verletzte - ,,individuelle
Schönheit der Seele aus'', die gleichzusetzen ist mit dem Versuch der
Beschreibung wahrer, erlebbarer Humanität. Auf dieser Basis fordert Eichner
stets auf, ästhetisch fundierte Menschlichkeit zu leben, wird jede Prosa,
jede Lyrik zu einem Finger, der sich in die Wunde der gesellschaftlichen
Wirklichkeit legt, wird zugleich zum überzeugenden Beweis einer Möglichkeit
menschenwürdigen Lebens.
,,Wenn die Nacht kommt, dann wird die Haut dünner'', so der Einleitungssatz
ihrer Titelgeschichte Nachthaut'. Und die Autorin hat ein tiefes Gefühl für
die Verletzungen des Menschen, die alltäglich stattfinden. Eindringlich
schildert sie durch individuelle Geschichten, wie Gesellschaft mit Strukturen
und politischen Entscheidungen und Ausprägungen inhumanen Verhaltens den
Einzelnen zu zerstören droht. Doch die dünner werdende Haut hält dem
Außendruck stand, zeigt Verletzbar-keit, Risse, aber keine Vernichtung. Die
Sprache dabei schlicht, nie in abgehobenen und überzogenen Bildern,
nachfühlbar, offen, sich nicht scheuend auch Alltagsklischees in den Text zu
integrieren. Das stets zu spürende Streben der Seelenschön-heit verzaubert
selbst Sprachklischees mit neuem Sinn.
Die in vielen ihrer Texte und in den Zeichnungen von Marion Hallbauer
anzutreffenden Flügelwesen erweisen sich so als Verkörperungen jener tiefen
und schönen Seele, ohne die wir als erlebendes und handelndes Wesen verloren
wären. Sie sind keine realitätsfremden Fabelwesen, vielmehr eindeutige
Spiegel humaner Seele, sie sind in Momenten der Wirklichkeit er-fahrbar,
lebbar, auch dann, wenn die Wirklichkeit sie wieder zu geheimnisvollen
Flügelwesen werden läßt.
Eichners Texte sind zuvorderst Aufforderung an den individuellen Mut jedes
Einzelnen, die Seelenschönheit zu leben, zu erfahren. Die in den Prosatexten
spürbare Melancholie wirkt dabei keinesfalls lähmend, niemals resignierend,
ist vielmehr begleitendes Moment des Wissens um Verletzung Hier liegt jedoch
auch das harmonisierende Moment der Traurigkeit: das Wissen um nicht
eintretende Vernichtungsmöglichkeit.
Die Lyrik des Bandes pointiert diese Grundpositionen der
Handlungsnotwenigkeit und -fähigkeit. Selten, daß Lyrik und Pro-sa eines
Bandes sich derartig genau ergänzen. Die Dichte, Intensität und
Treffsicherheit, aber auch die beißende Ironie lassen zudem hoffen, dass bald
auch wieder ein neuer Lyrikband der Autorin veröffentlicht wird. Die
spielerische Leichtigkeit, mit der die Autorin grundlegende Elemente
gesellschaftlichen Seins in der Lyrik klar und mit einfachsten sprachlichen
Mitteln verdeutlicht, niemals belehrende Haltung einnimmt, den Leser vielmehr
in die Position des selbst Erkennenden versetzt, fasziniert, auch wenn die
Erkenntnisse beißend scharfe Kritik am eigenen Verhalten transportieren.
Cornelia Eichners Band Nachthaut', ein literarisches und bildnerisches
Erlebnis, geheimnisvoll und doch von bestechender Klarheit, voller Alltag und
doch zugleich Phantasie, voller Tränen und doch Optimismus und Lachen, voller
Emotionalität und doch zugleich analytischer Schärfe, voller zeitbedingtem
Schmerz und doch zugleich zeitüberwindender ästhetischer Seelenschönheit. Ein
inhaltlicher und auch sprachlicher Entwicklungsschritt einer Autorin, der
jedem Leser Mut machen sollte zu eigenem optimistischen Handeln und Erleben.
B. Dhünn
Max Tenner
Nachtblaues Zwiegespräch
Cornelia Eichner und Marion Hallbauer kombinieren Texte und Grafiken zu einem
Buch und geben diesem den Titel ,,Nachthaut''. Das ganze erscheint genau zum
Wechsel zwischen den Zeiten: zur Jahreswende 2001 und 2002. Und das hat
seinen Grund. In dem neuen Werk führen sie gemeinsam ein Spiel zwischen
Zukunft und Vergangenheit, Weichheit und Härte, zwischen sensiblen Bildern
und beissender Ironie.
Schon die Titelgrafik verspricht mit ihrem Kontrast von zarter Transparenz
beflügelter Wesen und tiefen, impulsiven Farben - der Schwerpunkt liegt dabei
im melancholischen Nachtblau - ein abwechslungsreiches, spannendes (Zwie-)
Gespräch von Herz und Verstand.
Da schwirren Elfen durch die Räume und treiben ihr Unwesen auf Flügel und
Computer, kämpfen gar gegen Windmühlen (Wer sonst?). Liebende verführen sich
im innigen rotpulsierendem Kuß. Kitsch? Mag sein. Na und? Maskengesichter
zerrei-ssen, um sich im passenden Moment erneut zusammenzusetzen. Und dann
immer wieder die Zeit, sowohl in den Zeichnun-gen, als auch in den Texten.
Wie gehen wir damit um, scheinen die Arbeiten zu fragen, was stellt sie mit
uns an? Und gerade noch, dass wir in diesem Gedankengang gefangen sind, nimmt
uns ein Flügelwesen bei der Hand und entführt uns mitten hinein in
Shakespeares Sommernachtstraum.
,,Die Traurigkeit ist das Los der tiefen Seelen und der Intelligenzen'',
sagte Alexandre Vinet irgendwann. Die Arbeiten der beiden Sächsinnen sind
durch eine schöne Traurigkeit, eine harmonisierende Melancholie
gekennzeichnet. Beim Lesen und Betrachten spürt man ein Innehalten, ein
Atemholen, - jene Momente, die künstlerischem Schaffen eigen sind und einen
willkommenen Gegenpol zur gestressten Alltäglichkeit bilden. Ein Innehalten,
das Kraft gibt, Mut macht zum Leben und Lieben.
Agnes Liebetrau
"allen Sternschnuppen gewidmet" - so liest man als Untertext auf Cornelia
Eichners neuem Band "Nachthaut". Nach einem Lyrikband, Kindergeschichten und
der Herausgabe von 2 Anthologien stellt die junge Zwickauerin nun erstmals
eine Sammlung von Prosa, Lyrik und Dramatik vor. Dabei spiegelt sich
genreübergreifendes Arbeiten in jedem einzelnen Text wieder: Ihre Prosa lebt
von lyrischen Elementen, ihrer Lyrik und Dramatik wohnt auch das Prosaische
inne. Und das dramati-sche Moment durchzieht ihre sensiblen Beobachtungen,
sorgt für Spannung neben den leisen Reflexionen. Reflektieren, mit Distanz
und Nüchternheit immer ein Stück über den Dingen stehen, Beobachten,
Philosophieren, "jeden Gedanken einzeln von einer Seite auf die andere
schieben", wie Cornelia Eichner es nennt, ist wohl das Charakteristische an
ihrem Band. Da gibt es keine Naivität, keine Heiterkeit, kaum Unbeschwertes.
Hier schreibt ein Mensch, den Probleme nicht kalt lassen, der die Angst, die
Sorge und die Einsamkeit kennt und der zu gesellschaftlichen und politischen
Mißständen eine Haltung bezie-hen kann. Und der das Lachen beinahe nur noch
im schwarzen Humor zu finden und zu artikulieren vermag, ohne sich je-doch in
depressiver Betroffenheitslyrik zu ergießen oder gar damit zu kokettieren.
Zahlreiche Zeichnungen von Marion Hallbauer lassen den Band auch zu einem
optischen Genuß werden. Die gefühlvollen Illustrationen wecken beim Leser
zarte Bilder des Erzählten und machen aus dem Buch ein abgerundetes
Leseerlebnis.
Cornelia Eichner stellt mit "Nachthaut" eine Sammlung von Texten vor, die
sowohl einem hohen intellektuellem Anspruch, als auch sinnlich-ästhetischem
Genußbedürfnis gerecht werden. Sicher keine "leichte Kost", dafür um so
gehaltvoller.