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Literaturkreis der Deutschen aus Russland(Hrsg.)

Worüber man sich lustig macht ...
Humoristische Kurzgeschichten russlanddeutscher und bundesdeutscher Autoren.




Als ein ganz besonderes Buch muss dieser Sammelband humoristischer Kurzgeschichten angesehen werden. Unter der Leitung von Agnes Giesbrecht forderte der Literaturkreis der Deutschen aus Russland im Sommer dieses Jahres auf, humoristische Kurzgeschichten bei ihm einzureichen. Und herausgekommen ist ein Band, hochklassig besetzt mit bundesdeutschen und russlanddeutschen Autoren, denen es tatsächlich gelungen ist. humoristische Geschichten aus dem Alltagsleben zu schreiben, über die alle Leser lachen werden können.

„...– worüber lacht der Mensch? Eine Frage, die unter anderem auch Erich Kästner, einen der wichtigsten literarischen Humoristen, beschäftigte. „Er lacht, wenn man ihn kitzelt. Oder er lacht, wenn er andere lachen hört. Aber worüber lacht der Mensch, wenn sein Herz und sein Verstand bei der Sache sind? Das ist rasch gesagt: Er lacht meist über Kontraste.“ Dann, wenn das, was uns „normal“ erscheint, plötzlich eine andere Richtung nimmt, widersprüchlich zu unserer Erwartung wird, wenn jemand anders handelt, als wir handeln würden. Humor entsteht also immer in einem Wechselspiel zwischen dem Geschehen und dem, der es sieht oder über das Ereignis liest ...“ ist in einem einleitenden Vorwort zu lesen.

Und das erfüllen die Erzählungen dieses Bandes mit einer zum Teil wunderhaften Leichtigkeit, wobei auch die Originalität und die sprachliche Kraft der Autoren überzeugt. Kein oberflächlicher Klamauk steht hier im Mittelpunkt, vielmehr eine zum Teil auch selbstironische Beschreibung von Geschehen, das Russlanddeutschen und Bundesbürgern im Alltag geschehen ist. Und weil dieses geschilderte Geschehen ein wenig neben unseren Erwartungen verläuft, plötzlich eine andre Wendung nimmt, deswegen erleben wir es als Humor, feinfühlig und nachvollziehbar, denn es hätte uns ja auch passieren können oder ist uns sogar geschehen.

Angesichts vieler Vorbehalte gegenüber Russlanddeutschen ist es zum einen sehr erfreulich, dass in diesem Band auch bundesdeutsche Autoren veröffentlichen. Besonders erfreulich ist zudem, dass sich mit diesem Band viele Autoren aus dem russlanddeutschen Kreis auch einer bundesweiten Öffentlichkeit stellen und den engen russlanddeutschen Kreis ein wenig aufsprengen. Das schafft gegenseitiges Verstehen für die denk- und Problemlagen – und der Humor scheint dabei ein geeignetes Mittel. Und literarisch muss sich niemand dieser Autoren, ganz im Gegenteil. Spürbar wird, welch intensive literarische Bereichung die Autoren mit ihrer Historie des Schreibens für die Literatur sind.

In diesem Band sind mit Erzählungen vertreten: Heinz Breuer, Waldemar Eisner, Georg Gaab, Agnes Giesbrecht, Viktor Heinz, Monika J. Mannel, Edmund Mater, Eugen Maul, Irene Mohr, Alexander Reiser und Reinhold Schulz. Die Zusammenstellung des Bandes erfolgte durch Agnes Giesbrecht. Das Vorwort des Buches schrieb Alfred Büngen.










Inhaltsverzeichnis


Humor, Lachen und Liebenswürdigkeit

Marion Hallbauer
Titelgrafik

Heinz Breuer
„Fachgutachter“

Waldemar Eisner
Nie fahr ich nach Deutschland!

Georg Gaab
Im Safaripark

Beim Zahnarzt

Señora

Agnes Giesbrecht
Das Postgeheimnis

Das Telefontabu

Aus dem Osten in den Westen

Viktor Heinz

Der neue Pygmalion

Seltsame Gäste

Erdbeben

Sprachgewirr oder Die Bescheinigung

Der Ochs und ich – oder – Ich, der Ochs...

Eine altmodische Geschichte

Monika J. Mannel
Schloss Drachenfels

Tierisch menschlich – menschlich tierisch

Edmund Mater
Ein Rendezvous

Eugen Maul
Im Bus

Eroberung des Herzens

Premiere

Irene Mohr
Borja, das schlimme Ferkelchen

Alexander Reiser
Die Luftpumpe

Der Anrufbeantworter

Aussiedler-Krankheiten

Die Pest

Die Weinprobe

Das verwünschte Foto

Treue Fahrten

Dialog im Sozialamt

Lebensversicherung

Einführung ins Russendeutsch

Reinhold Schulz
Auf dem Friedhof

Die Glühbirne

Weiße Rosen

Biografische Notizen





Vorwort:





Humor, Lachen und Liebenswürdigkeit


Humor und Lachen haben eine solche Bedeutung, dass sich heute sogar eine Teildisziplin der Psychologie, die Geletologie (Lachforschung), wissenschaftlich mit ihren therapeutischen Möglichkeiten befasst. Humor kann das Immunsystem beeinflussen, Lachen den Schmerz reduzieren. Stressabbau, Durchblutungs- und Verdauungsförderung sowie Blutdrucksenkung sind weitere medizinische Erfolge, die diesen sehr menschlichen Möglich-keiten zugeschrieben werden.

Doch – worüber lacht der Mensch? Eine Frage, die unter anderem auch Erich Kästner, einen der wichtigsten literarischen Humoristen, beschäftigte. „Er lacht, wenn man ihn kitzelt. Oder er lacht, wenn er andere lachen hört. Aber worüber lacht der Mensch, wenn sein Herz und sein Verstand bei der Sache sind? Das ist rasch gesagt: Er lacht meist über Kontraste.“ Dann, wenn das, was uns „normal“ erscheint, plötzlich eine andere Richtung nimmt, widersprüchlich zu unserer Erwartung wird, wenn jemand anders handelt, als wir handeln würden. Humor entsteht also immer in einem Wechselspiel zwischen dem Geschehen und dem, der es sieht oder über das Ereignis liest.

Dadurch findet sich auch die Erklärung, dass nicht jeder Mensch ein Geschehen oder eine Situation gleich komisch empfindet. Der Leser oder Betrachter muss zulassen, dass das Geschehen auf ihn ‚lachhaft’ wirkt. Das wiederum hat sehr viel mit seinem Gewissen, mit seinen Konventionen, mit seiner Offenheit zu tun.

Das gilt in besonderer Weise für den Schreiber humoristischer Erzählungen. Er kann nur insofern humoristisch schreiben, als er eine Situation selber als komisch empfindet. Wenn im vorliegenden Band russlanddeutsche Autoren über sich und andere Russlanddeutsche humorvoll schreiben, dann nur, weil sie offen genug sind, das jeweilige Handeln als humorvoll zu betrachten. Insofern ist die humoristische Erzählung auch immer ein Stück weit selbstkritische Haltung. Es sind bestimmte Lebenseinstellungen und Verhaltensweisen, die von der Vorstellung, der Konvention, also wie jemand in bestimmten Situationen zu handeln hat, abweichen. In diesem anderen Handeln offenbart sich jedoch zugleich das Besondere des dargestellten Menschen, vielleicht auch seine ganze Liebenswürdigkeit.

Ob Sie als Leser das auch so empfinden, darauf hat der Autor nur geringen Einfluss. Meine Empfehlung: Lassen Sie sich auf die vorliegenden kleinen liebenswürdigen Geschichten ein, lachen Sie wieder einmal über Fehl- und Missgriffe, ja vielleicht auch einmal ein wenig über sich selber.



Alfred Büngen, Verleger

Leseprobe:

Viktor Heinz


Seltsame Gäste



Kurz vor Neujahr überlegten meine Frau und ich hin und her, wen wir zur Silvesterfeier einladen könnten. Unser Bekanntenkreis, genauer gesagt, der Bekanntenkreis meiner besseren Hälfte war groß, unser Wohnzimmer jedoch relativ klein. Ich war nicht sonderlich aufgelegt, wegen solch einer Lappalie mein Hirn zu strapazieren. Ich kannte ja diese Leute kaum und hatte mir von ihnen nur nach den Äußerungen meiner Frau ein verschwommenes Bild zusammengereimt. Meine Frau nannte die Namen und ich nickte nur stumm. Sie sagte: „Herr Knüppelholz mit Frau. Das ist unser Chef. Dadurch verbessert sich das Klima. Das musst du schon einsehen, Reinhard.“

Und ich nickte eifrig, denn ich hatte sofort alles eingesehen. Obwohl ich schon ziemlich genau wusste, dass dieser Herr Knüppelholz ein krummer Hund war und seine Ehehälfte eine blöde Kuh. Aber was soll’s! Meine Frau kannte die Leute besser als ich.

„Dann möchte ich unbedingt Herrn Galgenschwengel einladen“, spann meine Hausehre ihren Gedanken weiter. „Du weißt schon, das ist der stellvertretende Chef. Kontakte auf privater Ebene sind immer nützlich. Das musst du schon einsehen, Liebling.“

Und ich nickte wieder, denn ich hatte sofort alles eingesehen. Er ist zwar ein vorsichtiger Fuchs, dachte ich, und seine Gattin eine richtige Schnattergans, aber was soll’s! Meine Hausehre kennt sich in diesen Sachen besser aus.

Dann wurde Herr Dudelsack mit Frau genannt. Das war der Personalchef.

„Sein Wort hat in der Firma auch ein gewisses Gewicht, das musst du schon einsehen.“

Meinetwegen, dachte ich, denn ich hatte auch dies sofort eingesehen. Obwohl ich um diesen Truthahn und seine Watschelente immer einen großen Bogen machte, wenn ich ihnen zufällig auf der Straße begegnete. Aber was soll’s! Sollen sie von mir aus kommen. Eine Pulle Wein mehr oder weniger – darauf kommt’s nicht an. Ich werde mich nicht lumpen lassen.

„Trag sie nur ruhig in die Liste ein!“, sagte ich zu meiner Hauszierde. „Und darunter könnten wir auch einen Schlussstrich ziehen. Die Kapazität unseres Tisches ist erschöpft. Und wir haben auch nur acht Stühle.“

Darauf reagierte mein Schatz blitzartig:

„Ein Ausweg findet sich immer“, sagte sie. „Ich borge noch einen Stuhl bei der Nachbarin ...“

„Nur einen?“, stutzte ich.

„Ja“, sagte sie. „Herr Hammelbein ist ledig. Genauer gesagt – geschieden. Ist zwar nicht viel los mit ihm, ein geduldiges Schaf, aber er ist nun mal mein Kollege und nimmt mir stets ein gutes Stück Arbeit ab. Nicht jeder tut so was, das musst du schon einsehen.“

Na klar doch, das hatte ich sofort eingesehen, obwohl ich den Mann überhaupt nicht kannte. Aber mein Schatz wusste natürlich besser, mit wem sie was zu tun hatte.

Um zweiundzwanzig Uhr hatten sich alle Gäste bereits eingefunden. Der Tisch war festlich gedeckt. Meine Frau machte den Oberbefehlshaber und führte das Regiment. Ich spielte nur die Rolle eines Laufburschen. Fürs Erste durfte ich unseren teuren Gästen Aperitifs einschenken. Meine Ehehälfte hatte jedem Gast einen ganz bestimmten Platz am Tisch zugewiesen. Durch ihren vortrefflichen Sinn für Subordination hatte sie mir die Arbeit wesentlich erleichtert. In dem weich gepolsterten Sessel an der Stirnseite des Tisches thronte Herr Knüppelholz, auf den ich auch gleich mit einer Pulle in der Hand zusteuerte. Seine vollschlanke Ehegattin saß zu seiner Rechten. Also füllte ich mit der Geschicklichkeit eines Oberkellners zuerst das Gläschen dieser vornehmen Dame und dann das des Chefs. Gleich neben Frau Knüppelholz saß der Personalchef Dudelsack und seine kurzbeinige dickliche Ehehälfte. Ich ging aber erst um den Tisch herum und nahm Kurs auf Frau Galgenschwengel, die Gattin des spitznasigen Stellvertreters, die mir ihren langen Gänsehals entgegenstreckte, als ich sie mit der edlen Flüssigkeit beglückte. Neben den Galgenschwengels saß ganz nah an der Tür der unbeweibte Herr Hammelbein, der Kollege meiner Frau, der ihr stets ein gutes Stück Arbeit abnahm. Aber er musste sich trotzdem noch ein wenig gedulden. Subordination bleibt Subordination, dachte ich und schlug noch einmal einen Bogen um den Tisch herum, um zuerst den Personalchef mit Frau zufrieden zu stellen. Als ich dann nach dem dritten Bogen auch mit dem Einspänner und meinem Ehegespons fertig war, quetschte ich mich auf den geborgten Stuhl an der Tischecke und bediente mich selbst.

Nach dem Essen hatte ich Weine, Liköre und anderes Zeug zu kredenzen. Das war meine Rettung, denn wie hätte ich sonst die Zeit bis Mitternacht totschlagen sollen?

„Heute kein Wort über Arbeit!“, hatte der Chef gesagt, als meine Frau in den süßesten Tönen über das ach so gesunde Arbeitsklima in der Firma zu flöten begann.

Aber es muss doch über etwas geredet werden, dachte ich. Doch nicht über Kant oder Hegel. Nach wenigen Minuten konnte ich mich jedoch davon überzeugen, dass die Welt voller Probleme war. Man konnte zum Beispiel stundenlang über Hunde und Hundefutter quasseln, man konnte lange darüber salbadern, wie man eine Weihnachtsgans füllt. Und meine Frau beteuerte sofort, dass sie zur nächsten Party unbedingt eine gefüllte Gans zubereiten würde. Man konnte das brennende Problem bekakeln, ob man nicht das Putenfleisch dem Entenfleisch vorziehen sollte. Und zu guter Letzt setzte Herr Hammelbein der fruchtbaren Diskussion die Krone auf, indem er vorsichtig fallen ließ, dass von allen Fleischsorten am leichtesten das Hammelfleisch zu verdauen wäre. Deswegen würde in Asien auch hauptsächlich Hammelfleisch gegessen ...

Ich schaute auf die Uhr. Du meine Güte! Drei Minuten vor zwölf. Schnell die Sektflasche her! Ich hatte plötzlich das Gefühl, auch einmal ein paar Worte herunterleiern zu müssen. So eine Art Begrüßungsrede. Ich hatte meine Hemmungen überwunden. Ich stand am Tisch mit halb geschlossenen Augen, zu jeder Zeit bereit, den Pfropfen knallen zu lassen. Ich brauchte nur noch ein wenig Zeit, um mir ein paar Worte im Kopf zurechtzulegen. Und als ich dann den Blick hob – 0 Gott, wo war ich hingeraten?

Oben am Fenster saß in dem gepolsterten Sessel ... mit gekrümmtem Rücken ... ein Hund, der an einem Knochen nagte. Neben ihm eine fette Kuh, die mich mit großen starren Augen anglubschte. Ein Fuchs nebenan, eine unaufhörlich schnatternde Gans. Ein aufgeplusterter Truthahn. Eine Mastente. Und an der Tür ein Schaf, das sehr geduldig war und nicht mal blökte ...

Ich musste wohl eine blöde Visage gehabt haben, als ich mich zu meiner Frau hinabbeugte, um sie zu fragen, was das alles zu bedeuten hatte. Wo war aber mein Schatz? Mein verwirrter Blick tauchte in die fragenden Augen einer Ziege. Nun war ich endgültig baff, und mein linkes Augenlid fing an, krampfhaft zu zucken. Ich drückte es mit den Fingern zu und sieh, unsere Gäste waren wieder da. Auch mein Schatz saß wieder neben mir und fragte mich voller Besorgnis: „Was hast du denn, Reinhard?“

Sobald ich aber das Auge öffnete, tauchten all diese verdammten Biester wieder auf.

„Mir ist was ins Auge gefallen“, sagte ich und preschte ins Badezimmer. Ich drehte hastig den Hahn auf und ließ mir den Wasserstrahl ins Gesicht schlagen. Als ich nachher einen Blick in den Spiegel warf, schrak ich zurück. Das war nicht ich, der mich aus dem Spiegel anglotze. Es war ein Ziegenbock mit schütterem Bart und spitzen Hörnern.

„Was ist denn heute los mit mir?“, rief ich voller Verzweiflung.

„Nichts Besonderes“, meckerte der Ziegenbock aus dem Spiegel und zwinkerte mir mit dem rechten Auge vertraulich zu. „Nur immer schön ein Auge zudrücken, und alles ist wieder in Ordnung“.


Geest-Verlag: Vechta-Langförden, 2004

168 S., Vierfarbumschlag

10,- Euro

ISBN 3-937844-27-9


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